Was tun? Einfach mal machen!

Mit kleinem Team in geringer Zeit Großes erreichen? Das geht, und zwar mit den richtigen Leuten und dem richtigen Vorgehen. Der Bericht von Oliver Gerstheimer auf der diesjährigen „Mensch und Computer“ zeigt, wie unter Anwendung des „Lean Ansatzes“ vom Verpackungsmaterial bis zur fertigen Smartphone-App in erstaunlicher Manier ein gesamtes Produkt gestaltet werden kann. Das Motto: „Nicht zaudern – machen!“

50% = 100%?

Die Reduktion auf das Wesentliche, auf die Aspekte, die Kunden wirklich brauchen, ist eine Herausforderung, der wir in unserem Berufsleben immer wieder begegnen. Die einhundert Prozent, von denen wir als Softwaregestalter ausgehen, sind eben nicht immer das, was unbedingt erfüllt sein muss. Vielmehr gibt es Situationen, in denen achtzig Prozent, vielleicht sogar fünfzig Prozent reichen. Das was da ist, muss aber dafür voll funktionstüchtig und einsetzbar sein. Die Idee hinter diesem Konzept ist nicht neu und bereits seit Jahren unter dem Begriff „Minimal Viable Product“ in der Literatur zu finden. Ein Beispiel einer Umsetzung dieser Idee bildet die Entwicklung einer Smartphone-App, die Autofahrern Echtzeitdaten zur Fahrt anzeigt und anschließende Analysen ermöglicht. Dieses Beispiel ist gerade für unser Institut sehr interessant, denn die Thematik wird immer wichtiger je weiter wir uns die Richtung bewegen, tatsächliche Produkte zu entwickeln und zu vermarkten.

Schlank und gesund

Im Beispiel des Vortrags gibt es gemäß der Einschätzung Oliver Gerstheimer bereits zuhauf Applikationen, die sich mit einem Fahrzeug verbinden und Daten auswerten, denn im Grundsatz ist die Idee einer Fahrzeugdatenapp als Produkt nicht neu. Doch die Marktanalysten haben im Vorfeld zum Projekt noch eine lukrativ erscheinende Lücke ausgemacht; entsprechend war es für das Team von hoher Wichtigkeit, schnell an den Markt zu gehen um die identifizierte Nische zu besetzen, bevor dies ein Mitbewerber tun kann. Wie so oft in Projektkontexten war also auch hier die „Time to Market“ eine zentrale Herausforderung. Hinzu kamen Einschränkungen im Budget und Personal, die die Projektverantwortlichen zur naheliegenden Entscheidung führten, einen schlanken („Lean“) Ansatz zu wählen um eine gesunde Balance zu finden zwischen „das Richtige tun“ und „nur das tun, was wirklich notwendig ist“.

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Selbst ist der Mann – und die Frau

Zum Notwendigen einer Softwareentwicklung gehören nach Ansicht Oliver Gerstheimers insbesondere etablierte User-Experience-Methoden wie die Erstellung von Personas, die Durchführung von Interviews mit Lead-Usern oder die Anfertigung von Wireframes. Ebenso zum Arbeitsauftrag des Entwicklungsteams gehörten jedoch Aufgaben, die sonst klassischerweise einer Marketingabteilung zugerechnet werden: das Finden eines Namens für die App, die Gestaltung der Verpackung für den zugehörigen Dongle oder die Produktion eines Werbefilms. Die Verfolgung des Lean-Ansatzes implizierte, all diese Aktivitäten selbst durchzuführen, trotz engem Zeitplan und begrenzter Personalverfügbarkeit – oder gerade deswegen. Die Projektleitung traf die Entscheidung, „alles selbst zu machen“, weil gerade das es ermöglichte, ein Produkt aus einem Guss zu liefern. Zugleich würde nach Einschätzung der leitenden Akteure das Einbeziehen einer Marketingabteilung für zusätzlichen Overhead sorgen, der innerhalb der Projektlaufzeit nicht ausgeglichen werden könnte. Das Durchführen von letztendlich ebenfalls User-Experience-relevanten Aufgaben durch Mitarbeiter, die nicht bereits zuvor eng mit der Entwicklung des Produkts vertraut waren, kam für Oliver Gerstheimer und sein Team nicht in Frage, denn seine Erfahrungen zeigten bereits, dass auf diese Weise kaum hochwertige Ergebnisse erzielt werden können.

Minimal, und doch perfekt

Das Geheimnis im Erfolg der Entwicklung eines Produkts mit engem Zeitplan und limitierten Ressourcen lag im oben beschriebenen Beispiel der Fahrzeugdaten-App darin, sich auf das Wesentliche zu fokussieren und dabei nicht nur auf unnötige Extras zu verzichten, sondern vor allem auch die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Alle Teile des Produkts einschließlich Verpackung und Pressematerial wurden von den selben Menschen gestaltet, die auch das eigentliche Kernprodukt entwickelten, sodass jene mit minimalem Overhead erzeugt werden konnten und zudem, der Idee des Lean-Ansatz folgend, nur das enthielten, was für ein Minimal Viable Product unbedingt sein musste gut genug zu sein, um an Kunden ausgeliefert zu werden und diese mit dem was sie bekommen bereits glücklich zu machen. Diese Erfahrungen dürfen auch uns als Inspirationsquelle dienen, eigene Vorgehensweisen zu überdenken und weiter zu verbessern.