Fraunhofer IESE - Datensouveränität in der Landwirtschaft

Wie schafft man Datensouveränität in der Landwirtschaft?

Daten spielen in heutigen Arbeits- und Geschäftsprozessen eine zunehmend bestimmende Rolle. Im Zuge fortschreitender Digitalisierung hängen immer mehr Elemente in Wertschöpfungsnetzwerken von Daten ab, das gilt auch für die Landwirtschaft. Von der Reichsbodenschätzung am Anfang des 20. Jahrhunderts über detaillierte Wetterdaten für genauere Prognosen bis hin zu hyperspektraler Sensorik zur Erkennung von Pflanzenzuständen: Daten unterstützen immer mehr Abläufe oder werden selbst zur Ware in datengetriebenen Prozessen.

Doch dabei treten Fragen auf: Wem gehören Daten überhaupt? Wie kann man den Überblick behalten in der Verwaltung riesiger Datenmengen aus unzähligen Datenquellen? Wer hat welche Interessen und wer welche Rechte? Und wie können Landwirte in diesem Umfeld die Kontrolle über Daten aus ihren Betrieben behalten?

Datensouveränität in der Landwirtschaft umfasst nach unserem Verständnis die rechtliche Legitimation sowie die organisatorischen und technischen Möglichkeiten, über die Verwendung von Daten aus dem eigenen betrieblichen Kontext verfügen zu können. Dazu gehören: Datennutzung nur mit Zustimmung, Transparenz darüber, was mit den Daten geschieht und die Möglichkeit, die Daten in verschiedenen Systemen zu nutzen.

Die Zustimmung erstreckt sich auf mehrere Aspekte: wer darf Daten nutzen, wie lange, in welchem Kontext und für welche Zwecke. Transparenz bedeutet, dass nachvollzogen werden kann, was mit Daten geschieht und die Konsequenzen aus einer Zustimmung zur Datennutzung verständlich sind. Die digitale Durchgängigkeit der Daten und Möglichkeit, diese flexibel und mehrfach zu nutzen, sind der dritte Aspekt, der Datensouveränität ausmacht.

Haben alle die gleichen Ziele oder widerstreitende Interessen?

Für ein Verständnis der Datensouveränität bedarf es weiterer Klärung. Um wen geht es, wer hat welche Interessen und wie sind diese jeweils, um welche Daten geht es, gibt es nicht schon ausreichend Regelungen dazu und was bedeutet Datensouveränität in dem Kontext Landwirtschaft überhaupt konkret?

Interessengruppen im landwirtschaftlichen Datenraum

  • Am Anfang der Diskussion steht natürlich der Landwirt, aus dessen Ressourcen (Schläge, Tiere, Maschinen, …) und Betriebsprozessen (Ernten, Düngen, Züchten, …) Daten generiert werden. Diese Daten werden nicht nur vom Landwirt selbst erzeugt, auch Kunden, Lohnunternehmer, Maschinenhersteller, Behörden, Verbände und weitere Akteure spielen hier eine Rolle. Wem gehören nun diese Daten? Haben Landwirte generell das Recht, frei über diese zu bestimmen oder stehen dem andere, berechtigte Interessen gegenüber?
  • Maschinenhersteller und Dienstleister rücken Daten zunehmend in den Kern ihrer Geschäftsmodelle. Hierbei geht es nicht nur um Kundenbindung, sondern auch um Innovation und neue Produkte, die auf der Verfügbarkeit großer Datenmengen basieren. Es geht den Herstellern und Dienstleistern sowohl darum, mittels vieler Daten existierende Produkte zu verbessern, als auch darum, neuartige Produkte und Dienstleistungen zu schaffen. Ist es nun vertretbar, dass die, die Innovation schaffen und neues Potential an Wertschöpfung auftun auch alleinig davon profitieren oder sollten nicht die, deren Ressourcen die notwendigen Daten generieren, auch am Erfolg teilhaben?
  • Lohnunternehmer benötigen einerseits Daten von Landwirten, um in deren Auftrag Arbeiten durchzuführen und erzeugen andererseits mit eigenen Ressourcen Daten, die aus dem Betriebskontext verschiedener Landwirte stammen. Wer darf nun über Daten bestimmen, die bei Auftragsarbeiten erhoben wurden?
  • Staatliche Stellen verfügen über Daten (z.B. Katasterdaten, Bodenwertkarten, Fachinformationen, …) und verlangen Daten, etwa zur Dokumentation und Kontrolle (ein aktuell häufig diskutiertes Beispiel ist die Düngemittelverordnung). Längst bezeichnen sich einige Landwirte als „gläsern“ gegenüber dem Staat, der umfassende Einblicke verlangt. Ist das staatliche Interesse in allen Fällen und mit allen Mitteln gerechtfertigt oder sollte Landwirten nicht auch ein Recht auf selbstbestimmteren Umgang mit Daten eingeräumt werden?

Neben diesen Gruppen gibt es in der Landwirtschaft weitere relevante, wie z.B. Betriebsmittelhersteller, Berater, Genossenschaften, Land-, Groß- und Einzelhandel, Nahrungsmittelproduzenten und nicht zuletzt auch die Verbraucher. Für die folgende Diskussion soll die obige Aufzählung genügen.

Systeme in der digitalen Landwirtschaft

Die heutige Landwirtschaft setzt ein breites Spektrum an digitalen Systemen ein, die verschiedenste Funktionen erfüllen, Daten produzieren und auch konsumieren. Teilautonome, GPS-gesteuerte Landmaschinen sind schon lange im Einsatz, stark im Aufwind sind moderne Sensorsysteme zur Erfassung umfassender Umweltparameter. In den letzten Jahren entstanden vor allem um die Produkte von Maschinenherstellern herum digitale Lösungen und Plattformen, die Maschinen mit Software und Clouddiensten verbinden. Neue Geschäftsmodelle entstehen z.B. in der Beratung auf Basis datengetriebener, kognitiver Prognosen oder der Fernüberwachung von Pflanzenzuständen mittels Satellit und Drohne. Zunehmend werden Komponenten und Systeme verschiedener Anbieter und Dienstleister miteinander verbunden, wobei solche Initiativen häufig noch am Beginn stehen. Statt durchgängiger und herstellerübergreifender Integration von Maschinen, Software und Dienstleistungen, ist das digitale Ökosystem Landwirtschaft heute noch stark von Insellösungen geprägt, was insbesondere für Landwirte die Übersicht und Nutzbarkeit erschwert. Einige wenige Ansätze und Initiativen adressieren die Problematik und erarbeiten Lösungen zur herstellerübergreifenden Verbindung auf Cloudebene (vgl. u.a. DataConnect oder Agrirouter), trotzdem bleibt die oft fehlende Konnektivität noch eine große Hürde für die Nutzung digitaler Systeme und Dienstleistungen in der Landwirtschaft.

Exemplarische Darstellung des digitalen Domänenökosystems Landwirtschaft
Exemplarische Darstellung des digitalen Domänenökosystems „Landwirtschaft“

Die Abbildung zeigt einen exemplarischen Überblick über das digitale Domänenökosystem Landwirtschaft. Die vier Gruppen bilden eigene digitale Ökosysteme und können etwa Plattformen von Landmaschinenherstellern darstellen, die ihr jeweiliges Produktportfolio über eigene Daten- und Diensteplattformen anbieten. Es kann sich dabei aber auch um Farm-Management-Informationssysteme (FMIS) handeln, die über eigene Schnittstellen Daten von Maschinen übertragen. Die Gesamtheit der einzelnen digitalen Ökosysteme bezeichnen wir als Domänenökosystem (hier für die Landwirtschaft). Nutzer der Plattformen oder FMIS sind bspw. Landwirte, die dort Ihre agronomischen Daten verwalten und nutzen. Dienstanbieter können u.a. Lohnunternehmer sein oder kleine Unternehmen mit Wetter- und Beratungsdiensten.

In der Abbildung wird sichtbar, dass ein Nutzer oder Anbieter mit gemischten Maschinenparks auf verschiedenen digitalen Plattformen aktiv sein muss, um die jeweilige Funktionalität nutzen zu können. Diese Problematik wird sich zukünftig abschwächen, wenn die Systeme stärker integriert werden (sei es durch direkte Verbindungen zwischen Plattformen wie in der Abbildung mit der gestrichelten Linie dargestellt oder über Datenhubs). Für den Austausch von Daten und die durchgängige Nutzbarkeit sind das gute Aussichten. Die Diskussion der Datensouveränität wird dann allerdings wesentlich komplexer, da diese nun nicht mehr „nur“ auf einzelnen Plattformen oder FMIS gesichert werden muss, sondern im verteilten Datenraum.

Datensouveränität und die rechtliche Situation

Ein beispielhaftes Szenario: wenn ein Lohnunternehmer das Feld eines Landwirtes erntet und seine Maschine dabei eine Vielzahl von Daten erfasst (vom Dieselverbrauch pro Stunde bis zu Ertrag in Rohprotein): wem „gehören“ diese Daten und wer darf über sie bestimmen? Dieselverbrauch und weitere Telemetrie der Maschine sind häufig (nicht ganz zu Unrecht) gut gehütete Geheimnisse der Hersteller. Die Kenntnis des Ertrags sollte doch alleine dem Landwirt zustehen? Erfasst wird der Ertrag aber vom Lohnunternehmer durch dessen Maschine und wird auch meist durch dessen angebundene Software dokumentiert. Wer soll nun welche „Rechte“ an welchen Daten haben und welche Rechtsbegriffe könnten überhaupt greifen?

Im täglichen Geschäftsleben ist vieles geregelt, insbesondere wenn es um Eigentum geht. Bei Daten verhält es sich anders, das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) kennt kein Eigentum an Daten. Das bedeutet, dass man in Deutschland kein Eigentümer von Daten sein kann und in der Konsequenz auch nicht frei über diese verfügen kann. Für die Datensouveränität bedeutet das in erster Linie, dass Eigentumsrechte keinen Hebel bieten, um Ansprüche an Daten durchzusetzen. In dem einführenden Beispiel kann der Landwirt sich nicht auf Eigentumsrechte an den Ertragsdaten beziehen und so von Lohnunternehmer oder Maschinenhersteller verlangen, mit den Daten aus seinem betrieblichen Kontext nach seinen Wünschen zu verfahren. Gleiches gilt aber auch für Lohnunternehmer und Maschinenhersteller.

Ein weiterer Ansatz könnte sein, die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) zu nutzen. Da die DSGVO aber ausschließlich für den Privatsphärenschutz geschaffen wurde, erscheint der Einsatz bei betrieblichen Anwendungsfällen zumindest fraglich. Sie schützt dort zwar die personenbezogenen Daten von Mitarbeitenden, bietet aber keinen hinreichenden Schutz für agronomische Daten des Betriebs. Und selbst wenn diese Daten unter die DSGVO fallen würden, weist sie keine Verfügungsbefugnis zu und stellt kein geeignetes Instrument dar, um Datensouveränität für die jeweiligen Interessensvertreter durchzusetzen.

Die Lösung könnte in der privatrechtlichen Gestaltung liegen: Verträge zwischen den Beteiligten Akteuren (Landwirt, Lohnunternehmer, Maschinenhersteller, …) können so gestaltet werden, dass die Datennutzung klar geregelt wird. Aber auch hier gilt: so einfach ist es nicht. Zunächst müssten alle Datenarten und -quellen klar benannt und explizit geregelt werden. Dabei müssen alle Beteiligten in die vertraglichen Regelungen miteinbezogen werden, was in unserem Beispiel oben schon drei Parteien umfasst. Als mit eines der größten Hemmnisse sehen wir bei der vertraglichen Regelung allerdings das Machtverhältnis zwischen Landwirt und Industrie: ganz gleich, mit wem Landwirte Verträge schließen, sie stehen meistens Unternehmen mit Marktmacht und großen Rechtsabteilungen gegenüber. Individuelle, frei verhandelte vertragliche Regelungen sind für einzelne Landwirte schwer durchzusetzen, wären aber auch nicht praktikabel oder zielführend. Viele Unternehmen gewähren Landwirten bereits alleinige Rechte an Daten aus dem betrieblichen Kontext und haben freiwillige Selbstverpflichtungen zur Datennutzung veröffentlicht [1], allerdings stehen die Landwirten auch dann komplexen Geschäftsbedingungen, Lizenzverträgen und schwer überschaubaren Systemen von Datenflüssen gegenüber.

Um die Digitalisierung effektiv einzusetzen, ist die Vernetzung von Systemen und der Austausch von Daten erstrebenswert. Um in der Landwirtschaft die vollumfängliche Datensouveränität zu erreichen, schätzen wir rechtliche oder vertragliche Regelungen allerdings nicht als alleinig ausreichend ein.

Wege zur fairen Datenökonomie

Wie diskutiert gibt es in der Landwirtschaft verschiedene Interessensgruppen mit jeweils eigenen Ansprüchen und Interessen an Daten. Viele dieser Interessen sind gut begründet – von datengetriebenen Innovationen kann nicht nur die Branche profitieren, sondern auch Gesellschaft und Umwelt. Es gilt aber, einen gerechten Ausgleich zwischen den Beteiligten herzustellen. Wenn ein Landwirt als Eigentümer der datengenerierenden Ressource nicht am späteren Erfolg dieser Daten partizipieren kann, warum sollte er sie dann teilen?

Ganz klar: ein gut balancierter und fairer Ausgleich muss die Interessen aller Seiten berücksichtigen. Wenn etwa der Dieselverbrauch pro Stunde Rückschlüsse auf die Technologie eines Herstellers erlaubt, sollte er dann nicht das Recht haben, diese Daten exklusiv zu nutzen? Nicht nur Landwirte werden sich Datensouveränität wünschen, gleiches gilt auch für Unternehmen und Dienstleister. Aber ganz gleich, wie die Balance zwischen Akteuren ausgestaltet wird: man muss zunächst einmal die Möglichkeit haben, diesen Ausgleich auch umzusetzen. Für uns heißt das: ohne ein Werkzeug zur Durchsetzung der Datensouveränität wird ein Ausgleich der Interessen kaum zu erreichen sein und die rechtlichen und vertraglichen Möglichkeiten alleine bieten aus unserer Sicht kein solches Werkzeug an.

Mit Technologie lösbar?

Wir formulieren folgende Hypothese: wenn rechtliche oder vertragliche Ansätze zur Durchsetzung von Datensouveränität nicht genügen, kann man es dann technisch lösen? Technologie könnte das gesuchte Werkzeug sein, um Datensouveränität im landwirtschaftlichen Datenraum durchzusetzen. Sie müsste so gestaltet sein, dass die Anforderungen der Datensouveränität erfüllt sind.

Die große technische und prozessuale Komplexität der Domäne Landwirtschaft macht eine technische Lösung nicht einfach. Der zu investierende Aufwand ist aus unserer Sicht allerdings gerechtfertigt, denn ein Mangel an Datensouveränität kann zu einem Mangel an Akzeptanz digitaler Prozesse und Systeme führen, was die Digitalisierung insgesamt und damit Möglichkeiten für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigt. Treiber der Digitalisierung müssen generell darauf achten, die Landwirte als Hauptzielgruppe mitzunehmen und gut zu erklären, warum sie Prozesse unterstützt statt verkompliziert. Technisch-digitale Lösungen müssen einfach zu nutzen sein, Digitalisierung bleibt ein Werkzeug und darf nicht zum Selbstzweck werden. Die Arbeit von Landwirten soll weiterhin die Landwirtschaft sein und nicht die Administration digitaler Systeme oder komplexer Zugriffsberechtigungen.

Mit Datennutzungskontrolle zu Datensouveränität

Im Fraunhofer-Leitprojekt Cognitive Agriculture (COGNAC) untersuchen und erproben wir neue und existierende Lösungen auf deren Anwendbarkeit in der digitalen Domäne Landwirtschaft. Technologien zur Umsetzung von Datennutzungskontrolle bieten hierzu einen vielversprechenden Ansatz. Mehr als ein reiner Zugriffsschutz ermöglichen sie etwa, dass Daten nur in einem bestimmten Kontext genutzt werden dürfen und eine Zustimmung dazu auch widerrufbar ist. Die International Dataspace-Initiative (IDS) setzt sich zum Ziel, einen sicheren Datenraum zu schaffen mit souveräner Bewirtschaftung der „eigenen“ Daten. Zum Einsatz kommen dabei u.a. Lösungen der MYDATA Control Technologies, die ebenfalls von Fraunhofer entwickelt wurden. Im Rahmen von COGNAC wollen wir diese Technologien auf Eignung für die digitale Domäne Landwirtschaft prüfen und Einsatzmöglichkeiten skizzieren. So würde ein gemeinsamer Agrar-Datenraum entstehen, ein Agricultural Data Space.

Datensouveränität ist ein Thema für alle Interessengruppen in der Landwirtschaft. Wir fokussieren zunächst aber auf Landwirte und die Möglichkeit, in deren täglicher Arbeit die Kontrolle über Daten aus ihrem Betriebskontext zu behalten. Interessierte Unternehmen sollten sich mit den Konzepten des IDS auseinandersetzen, da dort deren Datensouveränität im Fokus steht. Die folgenden Beispielszenarien sollen die Anwendungsmöglichkeiten von Datennutzungskontrolle in der Landwirtschaft exemplarisch aufzeigen:

  • Ein Lohnunternehmer soll Arbeiten auf Feldern eines Landwirtes durchführen, dazu benötigt er Daten des Betriebes (bspw. Feldgrenzen, frühere Applikationen, Nmin-Wert, usw.). Durch Datennutzungskontrolle kann der Landwirt ihm den Zugriff auf diese Daten gewähren und zusätzlich bestimmte Einschränkungen vorgeben, wie etwa den Zugriff nur für die Zeitdauer der Arbeiten oder nur innerhalb bestimmter geografischer Grenzen („Geofencing“) zu ermöglichen.
  • Forscher wollen eine regionale, wissenschaftliche Studie zur Nitratbelastung durchführen. Mithilfe Technologien der Datennutzungskontrolle können Landwirte Daten dafür anonymisiert bereitstellen. Softwaretechnologien entfernen dann automatisch Inhalte, die auf betroffene Felder, Landwirte oder Standorte hindeuten.
  • Ein Landwirt erlaubt einem Berater Zugriff auf agronomischen Daten aus seinem Betrieb und gestattet ihm auch, einen Teil davon mit anderen Beratern zu teilen, um Betriebsvergleiche anzustellen. Die Datennutzungskontrolle sorgt nun dafür, dass der Landwirt über jede Weitergabe seiner Daten an andere Berater per Mail informiert wird.
  • In einem anderen Fall erlaubt ein Landwirt einem Berater Zugriff auf agronomische Daten, erlaubt aber nicht die Weitergabe. Die Datennutzungskontrolle stellt nun sicher, dass der Berater die Daten zwar nutzen, aber nicht weitergeben kann.
Beispielhafte Anwendungsfälle von Datennutzungskontrolle in der Landwirtschaft
Beispielhafte Anwendungsfälle von Datennutzungskontrolle in der Landwirtschaft

Mit Datensouveränität zur Datenökonomie

Es existieren unzählige Anwendungsfälle für den Einsatz von Datennutzungskontrolle in der Landwirtschaft. In vielen Fällen werden dabei die Interessen von einzelnen Gruppen stärker berücksichtig sein als die anderer Gruppen. Uns ist es wichtig, Datennutzungskontrolle nicht als Einschränkung zu verstehen, sondern sie zur Befähigung zu nutzen. Wenn sich alle an einem Datenraum Beteiligten sicher aufgehoben und fair behandelt fühlen, wächst die Bereitschaft zum Teilen von Daten. Auf der Basis dieser Bereitschaft kann eine Datenökonomie aufgebaut werden, in der ein gut balancierter, gemeinschaftlicher Umgang mit Daten den Nährboden für Effizienz und Innovation schafft.

Welche Ökosystemarchitektur für Datensouveränität?

Ein weiterer Aspekt im Mittelpunkt des Forschungsprojekts COGNAC ist die Suche nach der geeigneten Systemarchitektur für das digitale Domänenökosystem Landwirtschaft. Fragen wie „Wie arbeiten verschiedene digitale Plattformen zusammen (wenn überhaupt)?“, „Welche zentralen Funktionen können das Ökosystem unterstützen?“, „Welche Rolle nehmen Datenhubs ein?“ adressieren nur einige der dabei relevanten Aspekte. Wir diskutieren verschiedene, vom Status Quo abgeleitete Gestaltungsansätze unter Berücksichtigung einer Auswahl an Forschungsfragen. Eine dieser Fragen dreht sich um den Komplex Datensouveränität und wie diese mit Datennutzungskontrolle erreicht werden kann. Die Architektur des digitalen Domänenökosystems ist dabei von besonderer Bedeutung, da je nach Ausgestaltung die Implementierung einer Datennutzungskontrolle ganz verschiedenen Anforderungen gegenübersteht:

In eigenständigen Insellösungen kann Datennutzungskontrolle zentral an einer Stelle umgesetzt werden. Das ist schon nicht trivial und verlangt gute Planung sowie aufwändige Implementierung. Die Anforderungen in einem verteilten System mit unabhängigen digitalen Plattformen ist ungleich anspruchsvoller. Hier kann die Architektur des digitalen Ökosystems eine bedeutende Rolle spielen und wesentlich die möglichen Umsetzungen bestimmen.

Im weiter oben eingeführten Beispiel haben wir ein digitales Ökosystem mit kaum Verbindungen zwischen einzelnen Plattformen skizziert. Denken wir die Entwicklung nun weiter bis zu einem Punkt, in dem alle bisher eigenständigen Systeme untereinander verbunden sind (vgl. Abbildung unten). Nun können Nutzer einzelner Plattformen auch auf Datenbestände auf anderen Plattformen zugreifen. Wir gehen weiter davon aus, dass die Daten untereinander kompatibel und austauschbar sind. In diesem Szenario muss Datennutzungskontrolle nun auf allen Plattformen in allen Systemen integriert sein und miteinander kommunizieren können, um die Anforderungen der Datensouveränität für einzelne Nutzer sicherzustellen. Diesen dezentralen Ansatz verfolgt der IDS: jede Plattform stellt über sogenannte Konnektoren die Verbindung zu den Konnektoren der anderen Plattformen her. Die Implementierung der Konnektoren muss dabei u.a. Funktionen einer Datennutzungskontrolle anbieten, mit der auf technologischer Basis die Datensouveränität für die Teilnehmer erreicht werden kann. Dieses Konzept hat Vorteile in der Flexibilität des gesamten Systems und der Unabhängigkeit der einzelnen Teilsysteme. Es gibt aber auch Nachteile wie z.B. erhöhten Koordinationsaufwand zwischen den einzelnen Systemen und erhöhtem Implementierungsaufwand (jede Plattform muss eigene Konnektoren umsetzen). Aus Perspektive von Landwirten kann es zudem schwer sein, die eigenen, verteilten Datenbestände zu überblicken und unter Kontrolle zu halten.

Direkte Verbindung digitaler Plattformen
Direkte Verbindung digitaler Plattformen

Eine Alternative bietet eine Ökosystemarchitektur mit einem zentralen Ansatz. In diesem gibt es eine zentrale Datenplattform, die die Datenbestände von bspw. Landwirten hält und nach Bedarf (und Zustimmung!) an weitere Teilsysteme oder Dienstleister weitergibt (s. nächste Abbildung). Diese Datenplattform könnte nun Datennutzungskontrolle intern umsetzen und für weitere Dienste und Plattformen eine einfach zu nutzende Lösung für Datenhaltung und Datenzugriff anbieten. Erste Angebote solcher Datenplattformen sind bereits im Markt präsent, werden in der Branche allerdings auch kontrovers diskutiert: liefere ich mich hier einem einzelnen Anbieter und auch dessen Erfolg oder Nichterfolg aus? Kann ich meine Lösungen noch nach meinem Takt entwickeln, wenn ein anderes Unternehmen die Schnittstellen bestimmt? Welche Interessen verfolgt überhaupt der Betreiber? Auch für diesen Ansatz gilt: es gibt Vor- und Nachteile. Die Koordination und technische Umsetzung könnte einfacher sein und Landwirte behalten leicht den Überblick über ihre Daten. Umgekehrt werden hohe Anforderungen an den Betreiber der zentralen Plattform gestellt werden müssen, er muss etwa neutral und stabil sein.

Zentrale Datenplattform zur Datenhaltung
Zentrale Datenplattform zur Datenhaltung

Quo vadis Landwirtschaft?

Welche Variante ist die richtige? Das will und kann dieser Artikel nicht klären. Die Diskussion der Datensouveränität sollte einen kleinen Ausschnitt der Fragestellungen, Themen im Kontext und Lösungsansätze zeigen, denen wir uns im Rahmen des Fraunhofer-Leitprojekts COGNAC widmen. Unser Ziel im Projekt ist dabei nicht der Bau oder Betrieb einer weiteren Plattform. Wir wollen verstehen, wie das digitale Domänenökosystem Landwirtschaft funktioniert und welche Herausforderungen bestehen. Für einige dieser Herausforderungen werden wir gezielt Lösungsansätze zu Konzepten entwickeln, um zusammen mit Partnern aus Forschung und Praxis die digitale Landwirtschaft weiter voran zu bringen.

Maschinenhersteller, Saatguthersteller oder Betriebsmittelhersteller in der Landwirtschaft sind oft global unterwegs und viele bestehende Plattformen lassen sich bereits grenzübergreifend einsetzen. Gleichzeitig sind Landwirtschaftspolitik und rechtliche Standards zum Umgang mit Daten wichtige politische Themen in Deutschland und der EU. Initiativen wie GAIA-X des BMWi sollen national und europaweit auch branchenspezifische Anwendungsfälle unterstützen, so dass auch von dieser Seite Impulse für Datenökonomien in der Landwirtschaft zu erwarten sind.

Digitalisierung als Gewinn für die Landwirtschaft?

Die Digitalisierung ist für die Landwirtschaft ein enormer Gewinn, sie kann Prozesse effizienter gestalten, die Arbeit von Landwirten vereinfachen, und – ganz wichtig – Innovationen ermöglichen. Sie darf aber kein Selbstzweck sein und muss sich selbst rechtfertigen, indem sie gut erklärt und motiviert, warum und wo sie Sinn macht. Im Kontext hohen Kostendrucks und niedriger Investitionsspielräume bei Landwirten müssen Lösungen zudem erschwinglich und niedrigschwellig nutzbar sein. Die Herausforderungen aus der Digitalisierung erscheinen auf den ersten Blick kaum zu erfassen, sind aber lösbar, wenn man sie nach und nach angeht. Eine große Herausforderung und gleichzeitig aber auch eine große Chance sehen wir in der Datensouveränität. Können die verschiedenen Interessengruppen souverän über „ihre“ Daten bestimmen, führt das unserer Überzeugung nach zu Vorteilen für das Ökosystem und die beteiligten Akteure. Die wesentlichen Punkte dabei:

  • Bereitschaft zur offenen Kollaboration im Datenraum
  • Ausgeglichene Machtverhältnisse für eine faire Datenökonomie
  • Technologien, die klare und transparente Regeln zur Nutzung von Daten ermöglichen und sicherstellen

Der rechtliche und vertragliche Rahmen alleine genügt unserer Auffassung nach nicht zur Regelung des Umgangs mit Daten in der Landwirtschaft. Aus dem Grund schlagen wir eine technische Lösung vor, in der Datennutzungskontrolle die Basis bildet, um verschiedenen Interessengruppen Datensouveränität zu ermöglichen. Verfügbare Technologien sind bereits vielfältig und flexibel genug, um sich im schnell entwickelnden Innovationsmarkt Landwirtschaft zu integrieren.

Datensouveränität durch Datennutzungskontrolle soll den Austausch und die Nutzung von Daten nicht einschränken, sondern befähigen. Nur durch die Bereitschaft der Teilnehmer im Ökosystem, ihre Daten in den Datenraum einzubringen, wird das digitale Ökosystem lebendig.


[1] Links zu Selbstverpflichtungen von Herstellern und Verbänden, die aufgrund der unklaren, rechtlichen Situation und Unsicherheiten bei den Landwirten formuliert wurden: